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Montag, 26. Oktober 2009

FEUER IM WASSERTURM


Samstag, 07. November 2009, 19-21 Uhr



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FEUER IM WASSERTURM


Eiführung Michael Hofstetter, 07. November 2009


Spätestens seit dem Ende der Klassik ist die Kunst keine olympische Disziplin mehr. Sie hat weder Teil am Fest der Götter noch tritt sie im göttlichen Auftrag an. Bestenfalls kommt sie im Gewande von Penia - arm, rau, unansehnlich und unbehaust - daher, an der Schwelle zur Feier Aphrodites stehend und um Einlass bittend. In dieser Not sah Hegel nur noch das Ende der Kunst. Ohne selbstverständlichen Platz an der Seite der gesicherten Wahrheiten ist alles Verkünden zum ungesicherten Doxagestammel geworden und bedürftig nach Verstehen und Erklären. Deshalb, sehr verehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Fremde, stehe ich hier vor Ihnen und versuche hier werbend um ihr Geneigtsein ein paar Worte zu Pavel Zelechovskys Werk "Feuer im Wasserturm" zu stammeln.


Kunstwerke sind Botschaften. Und da alle Botschafter Engel sind - Engelswerke. Ohne göttlichen Absender und gläubigen Adressaten werden die Engel zu Idioten, die Botschaften tragen ohne Absender und Adresse. Dieses Schicksal teilen wir ale miteinander. Künstler ganz besonders. Sie verharren immer an der Schwelle zwischen Nicht-wissen-von-wem-losgeschickt und an wen abgesandt, zwischen Misstrauen und Vertrauen, Zögern und Wollen, Erinnern und Begehren bringt sie in eine Lage, wo nichts mehr aus sich selbst heraus gesichert ist und wo das Verstehen immer um ein "Ja" der Zustimmung bitten muss, damit die Gabe der Botschaft offene Augen und Ohren erreicht. Das Missverständnis ist dabei positiv immer miteingerechnet.


Die Kunst ist das Abbild eines sich ins Offene hinein entwerfenden Lebens geworden, das sich immer wieder aus der eigenen Vorwegnahme heraustrennt und auf neue andere Weise hineinwebt in die geerbten Bilder. Es ist ein Weben und Umweben eines Teppichs aus tausend Fäden mit tausend abgeschnittenen Enden und dunklen Anfängen und offenen Enden, Fitzel aus Wissen, Fühlen, Mutmaßen und Erlebtem. Ein solcher Teppich ist an seiner Oberfläche schön anzuschauen, manchmal auch passend zur Inneneinrichtung, für Kundige in seiner Tiefenstruktur kurz erhellend und doch letztlich nicht verstehbar. Es ist eine Offenbarung der Offenbarung, in seiner Struktur nur Übergang. Ein übergängliches Geschehen, verletzlich und mächtig, ortend und utopisch zugleich, in Bild und Wort gewährend und doch zurücknehmend. Es gibt Menschen, die sich die seltsame Aufgabe zumuten, die absurde Textur ihres Daseinsteppichs wenigstens in Teile nach- oder gegenzuweben. Solche Künstler firmieren unter der Bezeichnung Konzeptkünstler, als wären die Kunstwerke, die sie machen, nur ausgedacht und nicht aufgedrängt von einem dunklen, wiedersprüchlichen und leidvollen Leben. Pavel Zelechovsky ist ein solcher.


Es ist deshalb kein wunder, dass Pavel Zelechovsky in seinen Werken mit Sinn, Sinnverschiebung, Hintersinn und Unsinn spielt. Dass oft Sprache als Versprechen und Ver-sprechen dabei eine Rolle spielt, macht auch Sinn. Dass ein solches Sinnspiel mitunter Knoten knüpft mit gefundenen Fäden, manchal doppelt und dreifach verknotet und manchal entknotet, liegt nahe. Das Naheliegende als Material für seine Kunst zu nehmen ist, wenn man auf der Schwelle wartet, nicht verwunderlich.


Auch hier in der Arbeit "Feuer im Wasserturm" wird das Naheliegende zum Material dieses Werkes. Pavel Zelechovsky stellt den Ort selbst, an den er eingeladen wurde, mit all seinen verborgenen und offensichtlichen Einschreibungen aus. Er hätte - wie viele Kollegen vor ihm und sicherlich auch nach ihm - den Wasserturm als Präsentationsraum nehmen können, um im Atelier hergestellte Werke auszustellen. Er aber macht den Ort selbst zum Austragungsort, wo sich Existenz und Kunst für die Dauer der Ausstellung gegenseitig erhellen. Vom gegebenen Wasser kommt er auf das Feuer. Salopp könnte man sagen, er schüttet Feuer ins Wasser. Normalerweise sind wir gewohnt, das gefährliche, uns verbrenende zu löschen und es umgekehrt zu machen, Wasser ins Feuer zu schütten.


Diese Umkehrung unserer Gewohnheit eröffnet einen Raum, in dem die beiden Urelemente Wasser und Feuer nochmals die ganze Tiefe und Weite ihrer Metaphorik entfalten und ihre Bedeutungsveränderungen im Gang durch die Geschichte anklingen lassen. In allen Enstehungsmythen der Welt spielen Wasser und Feuer eine ursprüngliche Rolle. Sie zählen neben der Luft und der Erde zu den vier Urelementen, aus denen sich alles gebiert, durch die alles geschieht und mit denen alles endet. Alle alchimistischen Prozesse basieren auf ihnen. Sie bevölkern im Mittelalter in Gestalt von Gnomen, Undinen, Sylphen und Salamandern das Diesseits und als Michael, Raphael, Gabriel und Uriel das Jenseits. Feuer und Wasser haben es uns besonders angetan. Wahrscheinlich wegen ihres Doppelcharakters von Verwöhnung und Vernichtung. Hier paaren sich Herd und Inferno, Bad und Sintflut. Aber auch Wolllust und Strafe sind mit Wasser und Feuer verbunden. In unseren Höllenphantasien sind Wasser und Feuer ebenso präsent wie in den Hexenverbrennungen. Spätestens ab hier begann die Menschheit das Wasser mit Feuer zu behandeln. In dem Gelehrtenstreit zwischen den Neptunisten und den Plutonisten im 19. Jahrhundert erfuhr die Wasser-Feuer-Metaphorik als Urkraft nochmals einen letzten humanistischen Höhepunkt, bevor sie im zwanzigsten Jahrhundert zu Propagandafutter für radikale Ideologien wurde und heute in den Liedern von Ramstein besungen wird.

Zivilisation und Kultur betrieben eine Domestikation und Neutralisierung dieser Urkräfte. So stehen wir heute nicht mehr auf der Krume und Scholle, sondern auf asphaltiertem Boden, atmen nicht mehr den Äther und das Pneua Gottes und treiben nicht mehr in der Sintflut, sondern stehen vor einem Wasserturm, in dem Bilder eines Feuers flimmern. Das ist die Gegenrechnung, die mit dieser videoanimierten Intervention im Wasserturm auf die Spitze getrieben wird. In dieser zivilisatorischen Domestikation und Maskierung der Urkräfte wird das Wasser kanalisiert und durch ein Röhrensystem geleitet zum dosierbaren Grundelement unserer Hygiene und Nahrung, das Feuer zur kontrolierbaren Wärmequelle und zum pittoresken Kaminfeuer, die Luft zur chemischen Formel und die Erde zur Immobilie.
Wenn ich das Wort Maskierung verwende, dann hat das hier an diesem Ort seine besondere Evidenz. Die Tarnung eines Wasserspeichers als Wohnhaus erreicht einen Grad an Domestizierung der nicht mehr zu steigern ist. Diese Interieurisierung des gefährlichen Außen ist geradezu prädestiniert für ein kuschelliges Heimvideo, dass die Gräuel genussgerecht an die Wand beamt. Die heimvideokultur ist der rezeptive Höhepunkt des Faschismus der Privatheit. die Steigerung dieses Wohzimmerhorrors ist das Amateurvideo, das den bilderhorror nachstellt und sich dabei filmt. Die Mediale Immunologisierung die das Außen in Bilder vom Außen übersetzt hat, in denen niemand mehr verbrennt, in denen alles gleich gültig und gleichgültig wird, gebiert im Biedermann das Monster. Der Film "Bennys Video" von Michael Haneke, der übrigens auch Kafkas "Schloss" verfilmt hat - um einen Faden dieses Textes wieder aufzunehmen -, gibt darüber bestens Auskunft.


Der Faschismus hat es geschafft, die Urmythen und ihre Domestikation, das Dunkle und die Aufklärung, den Irationalismus und das Rationale, die überbordernden Kräfte und ihre Kanalisation, dionysische Entfesselung und Reinheit auf eine Weise zusammenzubringen, wo Naturkraft, Religion und Moderne sich zu einem Knoten verbanden, in dem die Widersprüchlichkeiten ihrer Geschichte vollständig verschwanden. Die Verbrechen der sogenannten Reichskristallnacht, die heute sich zum 71. mal jährt, war der sichtbare Auftakt zu dem, was in den Säuberungsanstalten, den Vernichtungslagern zur verschwiegenen Einrichtung wurde. Das ehmalige Konzentrationslager Dachau, das erste des "Dritten Reiches", schafft hier in diesem Ort einen räumlichen Bezug zu diesem Werk.
Wenn dieser Jahrestag und die Erinnerungsstätte durch ihre zeitliche und örtliche Koizidenz hier in diesem Werk mitschwingen, dann ist dies keine aufgesetzte Provokation, deren sich der Künstler bedient um einer Sensation, einer Mediensensation willen, die seinen Namen und seine Karriere befördern soll, sondern es sind zwei Gegebenheiten, die mitweben an der ganzen Tiefe und Breite dieses Werkes.


Es sind Spuren, die das Werk nochmals vereinigt und entfaltet. Entfaltet deshalb, weil die Brüche entlang der Repräsentationsebenen das Ver-sprechen der Sprache und Bilder offenlegen. Wie schon oben erwähnt, verwendet Pavel Zelechovsky kein wirkliches Wasser und kein wirkliches Feuer, sondern operiert mit und webt im Dickicht der Zeichen. Zwischen einem gebauten Wasserturm mit seinen durchtrennten Wasserrohren und einem projizierten digital bewegten Bild eines Feuers, unterlegt mit einer suggestiven Tonspur, tut sich eine Kluft auf von Dinglichkeit, Erfahrbarkeit, Durchdrinbarkeit und Verstehbarkeit, die sich zurücklegt auf alle durch sie aufgeworfenen Spuren. Nur Biedermänner können hier zu Bilder-Brandstiftern werden, weil sie Zeichen und Wirklichkeit verwechseln.


Ich habe versucht, hier einen Bezugrahmen für dieses Werk zu skizzieren. habe ein paar Spuren gezeigt, Fäden sichtbar gemacht, in die das Werk eingewoben ist. Diese künstlerische Intervention hier ist für sich genomen ein banaler Eingriff, der es in sich hat. Er führt uns direkt hinein in das Labyrinth der Tropen und entfaltet dort eine Gleichzeitigkeit von Offenbarung und Verdunkelung. Das ist Poesie. Ich hoffe, mit meiner kleinen Einführung bei Ihnen etwas angestoßen zu haben, das ein bleibendes Nachdenken, ein Gespräch oder vielleicht auch nur ein irritierendes Gefühl bei Ihnen auslöst. Doch wenn Sie der Meinung sind, dass Kunstwerke nur ihre Gültigkeit haben in ihrer sinnlichen Präsenz, dann geniesen Sie Pavel Zelechovskys "Feuer im Wasserturm" einfach nur als riesige Laterna Magica in der Natur. Danke für Ihre geneigten Ohren.
 


Sonntag, 31. Mai 2009

the big clearing




the big clearing
the end of the ideologies


zwölf Wörter / vier Gruppen

Menschen
alle, manche, niemand

Ort
überall, mancherorts, nirgends

Zeit
immer, manchmal, nie

Besitz
alles, manches, nichts


einundachtzig Variationen




Wolf Dieter Enkelmann zu the big clearing


Text Wolf Dieter Enkelmann
zu the big clearing von Pavel Zelechovsky
,
München
2001

The Importance of Being Ernest
Oscar Wilde

Die Blockade ist beendet. Vor gut zehn Jahren brach das Gleichgewicht des Schreckens unerwartet sang- und klanglos zusammen. Keine Katastrophe. So endete die Zeit, als der Kampf der Weltanschauungen die ganze Welt in ihren Bann schlug und zu einem Gefängnis gemacht hatte, zu einem goldenen Käfig großer Versprechungen für die einen und des materiellen Wohlstandes für die anderen.

Eine Erlösung zweifellos. Es ging ums Ganze, und am Ende blieb von all dem nichts. Kein Verlust? Immerhin konnten die Ideologen mit Visionen einer anderen Welt und der Idee werben, daß in Zukunft nicht namenlose Macht- oder Marktmechanismen die Menschen regieren, sondern Gerechtigkeit, Gedanken und, was den Menschen sonst noch gut tut.
Ernüchterung. Mancher Illusionen, aber auch ihrer Visionen ledig, hat die Menschheit nun keine Wahl mehr. Was von der Mobilisierungskraf der Utopien bleibt, erben Ökonomie und Technik. Im Erfolg der Weltwirtschaft liegt, so sieht es aus, nun allein das Geschick der Welt.
Das Ende der Ideologien könnte aber auch ein Trugschluß sein, nämlich selbst eine neue Ideologie, wenn nicht überhaupt erst die universale ideologische Einvernahme. Der Dogmatismus des Seins - den man auch die normative Macht des faktischen nennt - war immer schon der wirksamere. Je dogmatischer hingegen die Reden beschwören, je brutaler die Polizei durchsetzt, daß wahr sei, was wahr sein soll, desto deutlicher wird die Ohnmacht.
"L´etat c´est moi", der Staat bin ich. So ist es, sagte Louis XIV., nicht: so soll es sein. Und so war es auch. Allerdings verhalf er damit dem Staatsvolk langfristig zu einer Erkenntnis, die dieses nicht weniger als den König überraschte: "Nou sommes le roi", wir sind der König. Beides zusammen ergibt eine Revolution. Man sieht, die Geschichte versteht durchaus Spaß, wenn er auch ein teuerer ist. Und sie gönnt ihn sich, wenn´s not tut, auch zweimal.
Menschheitsträume lassen sich, auch ohne verwirklicht zu werden, zu quasi selbsttragenden Gesellschaftssystemen ausbauen. Je illusionärer sie sich zu erweisen drohen, desto gläubiger und bitterer werden sie gegen die Wirklichkeit verteidigt. Mit nichts darf es ernst werden. Und das wird mit blutigem Ernst verfochten. Alles für nichts, nichts für alles: Das ist die Zirkulation des Scheins - im Großen wie im Kleinen.
Währenddessen kalkuliert Pavel Zelechovsky schon mal die harten Basics der Weltwirtschaft durch. Die Rechnungen der Öknomie des Lebens liegen zur Einsicht aus. Das Ergebnis: 81 Variationen des Spiels um Zeit. Und nichts fehlt, außer eines, das aber immer.
Es zu finden, macht ein Ende mit den Ideologien und ist der Schlüssel zu unverfügbarem Reichtum. Das ist die Authentizität, Autonomie und Autarkie des Anfangs, den jeder hat, dessen habhaft zu werden dennoch keinem gegeben ist.

Dienstag, 19. Mai 2009